Irene Ziegler, geborene Hegler (*23. Juli 1934)
Irene Ziegler kam mit 8 Jahren aus der Oberpfalz nach Pöttmes, als ihr Vater von Baron Herman als Verwalter am Dieshof eingestellt wurde. Dort lebte sie mit ihren Eltern und zwei Brüdern von 1942 bis 1955. An die frühen Jahre, als es in Pöttmes nur zwei Autos gab, erinnert sie sich gut. Nur der Baron und der Arzt besaßen ein Auto. Irene half der Mutter in Haus und Garten und dem Vater im Büro. Wenn etwas zu erledigen war, war sie es, die mit ihrem Pferdchen Hexe zum Einkaufen, den Tierarzt holen oder nach Handzell zur Gemeinde fuhr. (bevor Handzell am 1.4.1972 im Rahmen der Gebietsreform ein Ortsteil von Pöttmes wurde, war Handzell eine selbständige Gemeinde)
Zwei Ereignisse, kurz vor Kriegsende, sind in ihrer Erinnerung fest verankert: In den letzten Kriegstagen räumte die SS (Schutzstaffel der NSDAP als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument, vielfach gefürchtet) viele Konzentrationslager. Die Häftlinge wurden auf Gewaltmärschen durch die Gegend getrieben. Wer liegen blieb, wurde erschossen. Eines Tages standen plötzlich ca. 50 geschwächte, hungerleidende Gefangene auf dem Hof, flankiert von bewaffneten Bewachern. Der Vater brachte die KZ-Häftlinge in der Scheune unter, schlachtete eine Kuh und gab ihnen zu essen: Fleisch, Kartoffeln und Brot von den Pöttmeser Bäckern.
Eine Woche später fuhren Amerikaner in Jeeps auf den Hof. Einer stürmte in die Küche, stieß die Mutter bei Seite und begann sich Schinken und Ei zu zubereiten. Ein anderer lief die Treppe hoch zum Speicher, wo er eine Hakenkreuzfahne entdeckte. Er kam heruntergerannt, packte die Mutter und wollte sie erschießen. Nur die Englischkenntnisse der Kinderfrau aus dem Schloss in Schorn verhinderten, dass alle erschossen wurden. Die Frau versicherte den Soldaten, dass weder der Vater noch die Mutter Nazis seien. Die Fahne stammte vom Vorgängerverwalter. Der entsetzliche Schrecken dieser Kriegserinnerung aus ihrem elften Lebensjahr lässt Irene heute noch erschaudern.
Mit vierzehn Jahren kam Irene nach Schrobenhausen ins Internat zu den Englischen Fräulein (heute Maria-Ward) auf die Realschule. Einhundert DM plus Schulgeld mussten dafür aufgebracht werden. Das war viel Geld, aber den Eltern war Bildung wichtig, so dass sie viele Entbehrungen in Kauf nahmen, um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Tatsächlich spielten die Fertigkeiten, die Irene an der Schule erlernte, in ihrem späteren Leben eine entscheidende Rolle, vor allem die Buchhaltung.
1953 kam Irene nach Würzburg, wo sie ein dreiviertel Jahr im Hotel Ruß als Beiköchin bei einer Cousine der Mutter arbeitete. Warum schickte man eine junge Frau in die völlig zerbombte Stadt Würzburg? Der Hintergrund war, dass man sie und ihren zukünftigen Mann, Josef Ziegler, versuchte auseinander zu bringen. Er wurde nach Karlsruhe in die Meisterschule für Elektrotechniker geschickt. Dass der Sohn eines erfolgreichen Pöttmeser Elektrowarengeschäfts eine Frau mit guter Ausbildung aber ohne finanzielle Mitgift, heiraten wollte, war für seine Eltern undenkbar. Das junge Paar trotzte allen Versuchen sie zu trennen: Die Liebe siegte! Mit 21 Jahren heiratete Irene Hegler ihre große Liebe, Josef Ziegler – der gegen den Willen seiner Eltern standhaft zu ihr hielt.
Die jungen Eheleute wohnten im Geschäftshaus am Kirchweg und später in der Ringstraße. Irene arbeitete fleißig im Büro und im Laden; ihr Mann entwickelte, verbesserte und baute Maschinen. Fünf Kinder wurden ihnen geschenkt. Dank der Hilfe ihrer Mutter und Personal für den Haushalt, konnte Irene Ziegler auch als vielfache Mutter im Betrieb weiterarbeiten. 1962 übernahm Josef das Elektrogeschäft der Eltern und erweiterte das Unternehmen mit Anbauten, Hallen und Fertigung.
Doch die Zeiten änderten sich. Man kaufte zunehmend Elektrogeräte in Großgeschäften ein. Kleine Elektroläden spürten, wie der Umsatz schrumpfte. Im Jahre 1991 schloss das Elektrogeschäft Ziegler; die Fertigungssparte des Unternehmens lief erfolgreich weiter.
Irene Ziegler blickt zurück auf bald 90 Jahre, dankbar für ihre Eltern, dass sie mit 8 Jahren nach Pöttmes kam, eine gute Ausbildung und einen treuen, wunderbaren Pöttmeser zum Ehemann hatte. Ein halbes Jahrhundert sang sie im Kirchenchor mit. „Pöttmes ist meine Heimat“, sagt sie mit bewegter Stimme. „Da habe ich alles, was ich brauche. Wir sind umgeben von Wäldern, es gibt den Gumppenberg, den Marktplatz mit dem Café und Einkaufsmöglichkeiten. Es fehlt nur noch eine Bayerische Wirtschaft!“ meint Irene Ziegler mit einem Lächeln.