Am 19. November 1932 wurde Karolina, das jüngste von acht Kindern, zwei Mädchen und sechs Buben, in Riedheim geboren. Ihr Vater war Waldarbeiter, zudem betrieb die Familie eine kleine Landwirtschaft und einen Tante-Emma-Laden. Der Krieg warf einen Schatten von Verlust und Trauer über ihre Schul- und Jugendzeit. Alle sechs Brüder wurden eingezogen. Drei überlebten nicht: Willibald und Paul fielen 1942 in Russland an der Front und Paul verhungerte in russischer Gefangenschaft. Auf dem Hof verblieben nur Karolina, ihre Schwester und die Eltern, die die ganze Arbeit stemmen mussten.
Die Nachkriegsjahre gestalteten sich vor allem für junge Frauen auf dem Lande als schwierig. Es gab kaum Berufsaussichten. „Man durfte nichts lernen, konnte nirgends hin. Es gab keinen Bus, keine Bahn, nichts. Keine Infrastruktur. Es gab die Volksschule, und das war‘s “, berichtet Karolina. Der Krebstod ihres Vaters mit 51 Jahren besiegelte Karolinas Werdegang: Weiterhin in der Landwirtschaft auf dem Familienanwesen zu arbeiten.
Bis zu Karolinas 24. Lebensjahr: Ihre zukünftige Schwiegermutter war Hebamme mit einer eigenen Praxis. Sie ermutigte Karolina diesen schönen Beruf zu erlernen. Nach der Ausbildung könnte sie die Praxis in Osterzhausen übernehmen. So nahm Karolinas Leben eine Wende. Die eineinhalbjährige Hebammenausbildung absolvierte sie an einer Frauenklinik in München. Anfangs war es schwer sich den Schmerz und das Geschrei der Gebärenden zu ertragen. „Aber man wächst in den Beruf hinein“, erklärt Karolina. Im Jahr 1958 startete sie als qualifizierte Hebamme ihr Berufsleben.
Mit 26 Jahren übernahm Karolina die Hebammen-Praxis in Osterzhausen. Gleich am ersten Tag kam die erste Herausforderung: Eine Hausgeburt mit Zwillingen. Bei Komplikationen holten die Hebammen Hausärzte zur Geburtshilfe. „Anfangs gab es fast ausschließlich Hausgeburten. Mit der Zeit wurden es immer weniger“, erzählt sie. Die Frauen gingen lieber ins Krankenhaus, wo sie gut versorgt wurden. Daheim mussten sie oft ohne Wochenbettpflege auskommen. Verständnis für Frauen nach der Geburt gab es damals vor allem auf dem Lande kaum. Gab es doch den Spruch: „Ross verrecken, großer Schrecken - Weiber sterben, kein Verderben“, erinnert Karolina. In der Tat, manche Frauen hatten es nicht leicht. Morgens entbinden, abends in den Stall zum Melken, so erging es einer Frau, die Karolina betreute. An Schonung war nicht zu denken. Einmal, bei einer Hausgeburt, fragte sie nach einem Tuch für die Entbindung. Der Mann legte eine verschmutzte Brunnenabdeckung ins Bett. ‚Das könne man dann wegschmeißen. Man wolle nicht verschwenderisch mit Textilien umgehen,‘ hieß es.
„Zum Schluss, als es fast nur noch Krankenhausgeburten waren“, erzählt Karolina, „arbeitete ich im Krankenhaus, wo ich für die Entbindung und die anschließende 12-tägige Nachbetreuung zuständig war“.
34 Jahre lang hat sie ihren Beruf ausgeübt; 2300 Geburten begleitete sie, ohne einen einzigen Todesfall, Gott sei Dank, resümiert die alte Dame. Nur einmal musste sie erleben, dass eine Frau nach einem Kaiserschnitt an einer Blutgerinnungsstörung verstarb. Karolina war tief betroffen. Noch heute hat sie vor Augen, wie die Großmutter mit zwei Kindern bei der verstorbenen Mutter im Leichenhaus stand. Das wird sie nie vergessen.
Karolina Ruisinger hat 3 Söhne und 5 Enkel. Sie blickt zurück auf ein erfülltes und befriedigendes Berufsleben. Nach ihrem über drei Jahrzehnte erworbenem Wissen wird heute noch ab und zu gefragt - auch von Kindern, nun Erwachsenen, die sie zur Welt gebracht hat, wie z.B.: „Sie waren doch die Hebamme bei meiner Geburt“, heißt es dann: „Was war mein Geburtsgewicht?“ oder „Um wieviel Uhr genau wurde ich geboren?“
Da ist Karolina froh, dass Hebammen damals Tagebuch führen und alle Einzelheiten der Geburt dokumentieren mussten.
„Die Antworten auf diese Fragen kann ich immer kurz nachschlagen“, sagt die alte Dame mit einem Lächeln.