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Die Braut im Fallschirmkleid

Mary-Ann Stotko • 31. Oktober 2018

Kunigunde Lihl, *1923

1950

Trümmerfrauen schichten am Kaiserdamm in Berlin Ziegelsteine. In Augsburg, umgeben von 2,5 Millionen Kubikmeter Schutt, wird wie überall in Deutschland getauscht, nicht gekauft. Und in Bamberg gibt eine junge Frau im seidenen Kleid ihr Ja-Wort.

Rückblick

Mit 6 jüngeren Geschwistern wächst Kunigunde Weidner auf einem Bauernhof am Rande der Stadt Bamberg auf. Arbeit prägt das tägliche Leben. Nach der Schule sind die Felder zu bewirtschaften. Freizeit in dem Sinne gibt es nicht. Abends wird gestrickt, gestickt, genäht, geflickt.

Der Krieg verändert vieles. Was die Felder hergeben, muss teils abgegeben werden. Dennoch geht es den Menschen auf dem Lande besser als in den Städten. Eier, Butter, Kartoffeln – es reicht zum Überleben. Wenn der Himmel dröhnt und die Sirenen aufjaulen, flüchten die Dorfbewohner in einen nahegelegenen Felsenkeller am Kalksteinbruch. Menschen drängen mit pochenden Herzen auf engstem Raum. Sie schnappen nach Luft und warten. Es gibt nur einen Weg hinein. Aber keinen Ausgang. Körper an Körper betet man, dass der Eingang nicht zugeschüttet wird. Jeder denkt es, aber keiner spricht es aus: die schützende Höhle könnte zur Todesfalle werden. Alle ersticken. Das gerettete Leben erlischt.

September 1945

Der Krieg geht zu Ende und die Übergangszeit bringt Besatzungstruppen ins Dorf. Englisch ertönt in den Straßen. Heim und Herd gehören nun amerikanischen Soldaten. Tagsüber schleicht die Familie sich in den Stadl, des Nachts suchen sie sich eine Schlafstätte. Gottlob nimmt auch diese schwere Zeit ein Ende. Die Soldaten verlassen die Dörfer. Kunigunde und ihre Familie dürfen wieder in ihr Haus. Beim Anblick zertrümmerten Geschirrs und demolierter Möbel erstarrt die Freude. Der Wiederaufbau beginnt.

Auch Vertriebene suchen eine neue Heimat, einen Zufluchtsort. Grenzen sind keine Grenzen mehr, das Vertraute, das Gewohnte - alles ist verloren.

Für Kunigunde ist die Zwangsaussiedlungspolitik zweifach schicksalsträchtig. In einer Ferienwohnung am Waldrand, unweit vom heimischen Hof, kommt das vertriebene Offiziersehepaar namens von Mühlendorf unter. Dort findet Kunigunde eine Anstellung als Haushaltshilfe und Kindermädchen. Wasser holen, waschen, schrubben, kochen und Kinder hüten füllen den Alltag von früh bis spät. Die Hausherrin, als Gattin eines ehemaligen Offiziers ist gestreng, aber auch gütig. In Sachen Herzen, war die Zwangsaussiedlung eines jungen Mannes aus Böhmen ein zusätzlicher Glücksfall für Kunigunde. Mit nichts in der Tasche aber voller Träume kam der Abiturient nach Bamberg. Er steigt aus dem Bus und sieht, wie ein Mädchen Birnen sammelt. Sie blickt auf und fragt: „Mogst ne Birne?“ Und das ist der Anfang.

1950 ist es dann endlich so weit. Der Tag der Trauung rückt näher. Vorbereitungen sind zu treffen, aber woher ein Hochzeitskleid? Stoff ist in der Nachkriegszeit Mangelware. Doch Not macht erfinderisch. Maria von Mühlendorf, dankbar für Kunigundes selbstlose Hilfe näht ihr aus einem zurückgelassenen Seidenfallschirm das Hochzeitskleid.

Es wird daheim auf dem Hof gefeiert; Wohnzimmermöbel werden beiseite geräumt und es gibt genügend Platz für die Gäste.

Diese Heirat verpflanzt Kunigunde nach Ebenried ins Pöttmeser Land, wo ihr Mann seinen Platz als Dorflehrer einnimmt. Aus der Geborgenheit der Großfamilie herausgerissen, weint sie viel, vermisst ihre Familie und tut sich schwer im neuen noch fremden Umfeld. Täglich muß sie zum Dorfbrunnen um Wasser zu holen. Einfach Tee kochen geht genauso wenig wie zum Hörer greifen um mit den Eltern zu telefonieren. Da ist ein Gang in die Wirtschaft notwendig, wo das einzige Telefon stationiert ist. „Hier halte ich es niemals länger als ein Jahr aus!“ erinnert sie sich gesagt zu haben.

Das war vor dreiundsechzig Jahren. „Frau Lehrer“, wie sie von den Pöttmesern genannt wird, lebt entgegen ihrer damaligen Verzweiflung noch immer in Ebenried und erfreut sich am Dorfleben und der Geborgenheit in der Gemeinschaft. Die Kinder, die einst im Klassenzimmer ihres Mannes lernten und mittlerweile auch deren Kinder sorgen für sie: Für genügend Holz für den Ofen zum Heizen im Winter, dass die Hecken um das Schulhaus geschnitten sind und das Gemüse im Garten wächst.

Und das Brautkeid? Gibt es noch. Dieses Andenken an den Tag an dem das Schicksal sie in Richtung Ebenried führte, ist feinsäuberlich aufbewahrt. Es erinnert an die Entbehrungen der Nachkriegszeit, den Erfindergeist aus Nichts etwas zu machen, an das Miteinander, den Soldaten, aus dessen Fallschirm Frau von Mühlendorf das Hochzeitkleid nähte und natürlich den Ehemann zu dessen Ehre Kunigunde das Kleid trug.


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