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Wohin das Herz führt: Der Lebensweg einer Pöttmeser Künstlerin

Mary-Ann Stotko • 9. Dezember 2020

Antje Sträter *29.06.1940


Orte und die Psyche stehen in ständiger Wechselwirkung miteinander. Wo man sich geographisch befindet, kann beflügeln oder einengen, entzücken oder entsetzen, inspirieren oder öde wirken. Bei Antje Sträter fungieren Orte wie Katalysatoren, die wegweisend ihr künstlerisches Schaffen gestalteten: vom Osten Deutschlands in den Westen, nach Italien in den Süden und schließlich nach Pöttmes. Geboren in Leipzig am 29.6.1940, lebte sie die ersten Jahre unbefangen in Mölkau bei Leipzig. Ihr ganzes Wesen, Körper und Seele begannen -durch Theater spielen, Gedichte, Musizieren und sich in der freien Natur zu bewegen - aufzublühen; bis ihr Vater im Jahre 1944 eingezogen wurde und dann auch die Bombardements auf Leipzig begannen. 1945 kehrte der Vater endlich Heim und fand sein Großhandelsgeschäft für Sanitär- und Heizungsbau ausgebombt. Er baute es wieder auf. Dann kam der erste Umbruch für die deutschen Bürger, die im Osten des Landes lebten. Deutschland wurde geteilt, dem Volk im Osten die Freiheit genommen, der Vater 1951 enteignet. Als „Kapitalistisches Kind“ im sozialistischen Staat gebrandmarkt, spürte Antje ab dem 11. Lebensjahr schon den Wandel am eigenen Leibe. Ihre Welt wurde eingeengt.

1956 floh Antjes Vater in den Westen. Ein Jahr darauf gelang es der Familie, nachzukommen. In Neukirchen/Vluyn machte Antje ihr Abitur. Dort sah sie auch zum ersten Mal eine in der DDR nie gezeigte noch geduldete Malerei: den Expressionismus - eine der sozialistischen Realkunst weit entfernten Malerei. Sie kopierte Ernst Heckel, Emil Nolde und Otto Müller. Danach, ansässig in München, bestaunte sie im Lenbachhaus vor allem Kandinsky. Er begeisterte sie so sehr, dass sie später versuchte, sich seinen freien Geist, das freie Fließen der Formen zu eigen zu machen. Diese Art von Malerei entfachte die in ihr bis dahin ruhende Leidenschaft für die bildende Kunst.

Nach Abbruch eines Pädagogikstudiums und nach einem kaufmännischen Kursus, arbeitete sie von 1962 - 66 als Markenbildberaterin für die Firma Rosenthal. Dabei entfalteten sich die Knospen ihrer Kreativität. Zu der Zeit lernte sie ihren späteren Mann Peter kennen. Der Beruf ihres Mannes führte sie nach Mailand, wo der Sohn Sven zur Welt kam. Fünf Jahre später kehrten sie nach München zurück. Antje spürte, dass ihr Lebensweg eine andere Gestalt anzunehmen hat, ohne diesen Weg jedoch konkret definieren zu können. Durch ein kurzfristiges Arbeitsangebot erlebte sie sich wieder aktiv und gewann Vertrauen in sich. Nach der Scheidung ergab sich 1973 die Möglichkeit, einen Bürojob als Leiterin des Auslandsgeschäfts einer Terracotta Fabrik in Florenz anzunehmen. Der neue Weg lag nun vor ihr. Alleinerziehend waren diese 10 Jahre eine Zeit von Pflichtgefühlen und Überlebenskampf und dennoch von großer Freiheit. Die Stadt Florenz mit ihren Renaissance - Palästen, Kirchen, Plätzen und Gärten nährte ihr Herz. Sie tauchte in die Welt der Kunst ein, besuchte Ausstellungen und Museen und umgab sich mit Künstlern. Sie begann davon zu träumen, Künstlerin zu sein. In 1980 bekam sie eine Bestätigung von einem indischen Gelehrten: ‚Yes, you are an artist’. (Ja, Du bist eine Künstlerin). Nun glaubte sie selber an ihre kreativen Fähigkeiten und begann Gefühle und Gedanken in diese Vision bewusst einfließen zu lassen.

Drei Jahre später, 1983, kündigte sie ihre Anstellung und deklarierte sich als freischaffende Künstlerin. Sie schuf Porträts mit Kreide, innere Landschaften von Freunden und Fremden, malte Köpfe mit der Frage: Wer bin ich, Wer bist Du? Mit Freude, als ein Ausdruck der Befreiung und mit dem Gefühl, angekommen zu sein, entstanden großformatige Papierarbeiten in extrem expressionistischer Form.

Anfang 1986 waren die Ersparnisse aufgebraucht. Große Ohnmacht und Selbstzweifel ergriffen sie. Doch Leben ist Bewegung. Langsam erhellte sich der Horizont: Es ergaben sich Ausstellungen in Florenz und außerhalb, und Verkäufe. Ein Kunstwerk ging sogar nach Amerika und erntete eine Einladung nach New York. Nach sieben Wochen umgeben von Wolkenkratzern, der pulsierenden Energie dieser Weltstadt und überwältigender Galerieerlebnisse erkannte Antje, dass sie sich über den eingeschränkten Kunstmarkt in Florenz hinaus engagieren sollte. Sie beschloss, ihre Kunst verschiedenen Galerien in Deutschland zu präsentieren, wo man viel offener für moderne Kunst war.

1986/87, in Vorbereitung für eine Ausstellung in einer säkularisierten Kirche in Tellaro/ Nähe La Spezia in Italien, entstanden Antje Sträters Segel, die sie im gleichen Jahr in der Bayerischen Landesversicherung in München 1987/88 ausstellte. Segel….bemalte Stoffe mit Seidenpapier und mit Farbe bearbeitet, leuchtend und transparent, Symbole von Sonne und Luft, ihr Alleinstellungsmerkmal.

Antje arbeitete auch mit Erde in Zeichnungen und Objekten, mit der Frage, aus welcher Erde bin ich, bist Du? Und gewann mit ihren Erdbüchern 2000 den Aichacher Kunstpreis. Weitere Werke aus Erde entstanden: Steine des Bewußtseins.

Es waren aber die Segel, die in der Zeit der Hochhäuser und der nüchternen Architektur große Aufmerksamkeit und langjährige Großaufträge brachten. In ihrem großräumigen, lichtdurchfluteten Atelier in Pöttmes schuf die Künstlerin mit einer Mitarbeiterin Werke für namhafte Firmen, Krankenhäuser und Banken deutschlandweit. Auch in Italien und der Schweiz sind ihre Arbeiten zu sehen.

Orte haben Antjes Künstler-Dasein geprägt und nun gestaltet ihre Kunst Orte: Antje Sträters Segel bringen Farbe, Textur und Leben in Räume. Sie sind direkt zugänglich: im Rathaus Pöttmes, im Landratsamt Aichach, dem Friedberger Krankenhaus und im Freien, als vergängliche Kunst in der wunderschönen alten Eiche auf dem Schlossplatz in Aichach. Die Künstlerin blickt auf 37 Jahre künstlerische Tätigkeit mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zurück. Die heimische Werkstatt in Pöttmes beherbergt viele Schätze ihres Schaffens. Nun gilt es, die Werke zu katalogisieren und den Nachlass zu sichern. Die Künstlerin Antje Sträter hofft, dass ihr Werk weiter lebt und für die Allgemeinheit zugänglich bleibt.

In diesem Sinne öffnet sie für Besucher ihre Werkstatt in der Schrobenhausener Straße in Pöttmes nach telefonischer Vereinbarung. (Tel.: 0170 5294573).



Interview: Mary-Ann Stotko

Photographie und Lektorat: Ludwiga Baronin Herman


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