Kriegskinder in Pöttmes
Im Schlafzimmer in der Schwedenstraße 37 fand eine Hausgeburt statt. Der kleine Franz erblickte das Licht der Welt in dem Haus, in dem er seine Kindheit, ein langes Arbeitsleben und seinen Lebensabend zubringen wird. Es war das Jahr 1930, die Straßen waren ungeteert und von tiefen Spuren der Pferde- und Ochsenkarren zerfurcht. Es war die Zeit der Lederschulranzen, Schiefertafeln und Sütterlinschrift.
Mit 3 Jahren besuchte Franz den Kindergarten. Vor allem liebte er die Ausflüge in die Natur. Franz verbrachte viel Zeit auf dem Acker und wenig auf der Schulbank am unteren Torbogen auf dem Marktplatz der Marktgemeinde Pöttmes. Familie Schlosser betrieb Landwirtschaft und es war selbstverständlich, dass Franz nach der Schule Kühe hütete, bei der Heuarbeit half oder seine Geschwister, oft auch noch andere Kinder, betreute. Es war ein bescheidenes, aber zufriedenes Leben. Die Tage vergingen fröhlich. Keiner ahnte, welch düstere Zukunft sich abzeichnete.
Der 2. Weltkrieg brach aus. Aus Lehrern wurden Soldaten. Klosterschwestern und „für den Kriegsdienst Untaugliche“ übernahmen den Unterricht. Der Stundenplan bestand größtenteils aus Arbeit: Eisgewinnung aus dem Klausen Weiher zur Kühlung bei der Schlossbrauerei Pöttmes; Landwirtschaftsarbeit auf den großen Gütern und daheim; Heizholz anrichten und Teekräuter für die Lazarette und Kasernen sammeln. Oft unterbrach Fliegeralarm den Unterricht und die Kinder wurden nach Hause geschickt. Überleben war wichtig - Lernen dann zweitrangig. Nationalsozialistische Exerzierstunden fanden nach der Schule statt. Franz lernte Gleichschritt, absolvierte Feldübungs- und Kampfspiele. Nach der 7. Klasse übersiedelte er nach Augsburg um eine Lehrstelle als Schneider bei einem Großhändler für Sattlerwaren anzutreten.
Weil Augsburg Sitz von Rüstungsunternehmen war, zerstörten am 25. Februar 1944 amerikanische und britische Angreifer mit 250.000 Stabbrandbomben, 45.000 Phosphorkanistern, 12.000 Flüssigkeitsbomben und 240 Sprengbomben Großteile der Stadt. Furcht und Panik brachen aus. Auch das Lehrlingsheim wurde getroffen und fing Feuer. Dieses Ereignis beschäftigt Franz bis zu seinem Lebensende.
Bei minus 18°C kämpften er und seine Kameraden sich durch zerbombte Gebäude, vorbei an brennenden Häusern und ausgebrannten Straßenbahnen, vorbei an Verwundeten und Toten flüchteten sie aus der Stadt. Wie durch ein Wunder kam Franz heil daheim an. So endete die Augsburger Zeit. Er begann eine Sattler- und Polster-lehre im Betrieb seines Vaters.
Der Krieg wütete. Englische Spitfire-Jagdflieger flogen in 50 m Höhe und beschossen großflächig auch die Pöttmeser Gegend. Granaten schlugen in den Häusern ein. Auch das Haus von Familie Schlosser wurde getroffen. Am 28. April 1944 marschierten die US Truppen in Pöttmes ein. Sie besetzten Häuser, führten Razzien durch und konfiszierten und verbrannten alle Waffen. Bei Schlossers versteckte Bruder Hans Großvaters Uniform und Helm unter dem Heu. Nach dem Krieg wurde diese Uniform gefärbt und in Zivilkleidung umfunktioniert. Der Helm ist heute noch in Familienbesitz und erinnert an schlimme Zeiten.
Am 8. Mai 1945 war der Krieg zu Ende. In den Städten herrschte Hunger; der Schwarzmarkt florierte. Für die vielen Flüchtlinge wurden in Schlossers Polsterei Matratzen gefertigt.
Die Zeiten änderten sich und der Bedarf an her-kömmlichen Sattlerei Produkten wie Rossschnallen und Lederriemen verschwand. Franz übernahm das Geschäft seines Vaters und verdiente seinen Lebensunterhalt vorrangig mit der Polsterei und dem Verlegen von Böden. Als er mit 65 Jahren in Rente ging, hatte seine Firma stolze 250.000 m2 Teppichboden verlegt.
Geprägt von den Erfahrungen des Krieges, setzte sich Franz sein ganzes Leben lang für seine Mitmenschen ein. Er war Mitbegründer des Roten Kreuzes in Pöttmes, fuhr Jahrzehnte lang Sanka*, war 20 Jahre für die Wasserwacht am Mandlachsee tätig, sang im Kirchenchor und tanzte im Trachtenverein. Gesellig und nicht die Arbeit scheuend war Franz Schlosser mit Herz und Seele ein Vereinsmensch.
„Ich habe eine gute Frau,“ würdigte er seine Ehefrau. „Durch meinen Beruf und die vielen Vereinstätigkeiten war ich ständig unterwegs. Sie machte alles mit.“