Blog Post

Mit Leib und Seele Goldschmiedin

Mary-Ann Stotko • 17. Januar 2023

Katharina Wolke (geborene Stählin) * 17.September 1943

Die ersten Töne, die Katharina Wolke hörte, waren heulende Sirenen, welche die Luftangriffe in Rothenburg ob der Tauber ankündigten. Dort, im September 1943, wurde sie im Keller des Krankenhauses zur Welt gebracht. Diese Kriegstöne begleiteten die ersten Jahre ihres Lebens.
Katharinas Vater war Pfarrer in der Gemeinde Neusitz. Die Familie wohnte im Pfarrhaus, neben dem Friedhof, wo die kleine Katharina öfters ihre Stoffpuppe im Puppenwagen um die Gräber fuhr. Schon sehr früh zeigte Katharina einen Sinn für Ästhetik. Das Mädchen sah ein betendes Stein-Engelchen an einem Kindesgrab. Es war locker und leicht zu entfernen. Kurzum legte sie das Engelchen neben ihre Puppe und fuhr beide spazieren. „Sie waren ein geniales Paar“, lächelt die fast Achtzigjährige.
Die Eltern waren streng, Pfarrerskinder hatten brav zu sein. Und die Zeiten waren hart. In einer Predigt hatte Katharinas Vater Worte gegen das Naziregime und Hitler gesprochen. Kurz darauf wurde er von der Kanzel weg verhaftet. Seine Frau und die drei Kinder bangten um sein Leben. Durch den Einfluss des Großvaters väterlicherseits, der Bischof war, kam er heil aus dem Gefängnis. Katharina erinnert sich heute noch mit Freude an die Worte „Das Vaterle ist wieder da“. Der Krieg ging zu Ende, das Leben in der Pfarrei lief seinen Lauf. Eines Tages kam ein schöner junger Mann in die Pfarrei, um einen silbernen Oblatenteller abzugeben. Es war Liebe auf den ersten Blick für Katharina – die Liebe galt aber nicht dem Schönling, sondern dem silbernen Teller. Davon tief beeindruckt war ihr klar: Sie wollte Goldschmiedin werden.
Der Weg dahin war schwer. Es gab zwei Hindernisse: Zum einen litt Katharina an Dyskalkulie, einer Rechenschwäche. Somit war ein Abitur mit Mathematik oder eine Lehre, die den Umgang mit Zahlen erforderte, für sie unerreichbar. Zum anderen verbot ihr der Vater die Ausbildung zur Goldschmiedin. Die Familie wohnte damals in München. Der Vater hatte den Beruf zum Psychoanalytiker gewechselt. So war er auf eine andere Art weiterhin als Seelsorger tätig. Sprachen und Kunst waren in der Schule Katharinas Stärken, aber Mathematik eine Katastrophe. Zum Glück traf Katharina auf einen Mathematiklehrer, der ihre Rechenschwäche als Lernbehinderung erkannte und ihr half, die zur mittleren Reife erforderlichen Noten zu erzielen. Danach war die große Frage: Was nun? Der Vater arrangierte in Breisgau eine Ausbildung zur Krankengymnastin, die Katharina absolvierte und gehorsam in dem Beruf arbeitete. Aber die Tätigkeit war ihr fremd, zu nahe am Menschen, keine Distanz. Nach wie vor schlug ihr Herz für die Goldschmiedearbeit.
Sie beschloss, nach Berlin zu gehen, wo sie von 1966 bis 1968 die Goldschmiedeklasse der Akademie für Werkkunst und Mode besuchte. Das Studium finanzierte sie mit Privatpatienten.
Ihr künstlerischer Werdegang entfaltete sich anschließend aus einer Reihe außergewöhnlicher Fügungen. Eine Keramikerin, die Arbeiten für die Pfarrei ihres Vaters anfertigte, hatte in der Kunstakademie in München ein Atelier. Sie bat Katharina, für ein Porträt Modell zu sitzen. Die Atmosphäre an der Akademie war für die junge Frau
der Himmel auf Erden. Sie traf unterschiedliche Künstler und durfte sogar einige Wochen der Klasse für Goldschmiedekunst beiwohnen. Der unterrichtende Professor erkannte ihr Talent und schließlich bekam sie an der Akademie der Bildenden Künste einen Studienplatz. Die Akademie hat auch ihr persönliches Leben vorgezeichnet: Sie lernte ihren Mann kennen. Damals suchte sie ein Geschenk für eine Freundin. Man schickte sie in den Keller, zum Meisteratelier von Reinhart Wolke. Sie fand auch das passende Stück. Der Künstler hatte sofort ein Auge auf sie geworfen, verlangte aber viel Geld dafür. Zuviel, gab er später zu. Sie sollte in Raten bezahlen. Somit kam Katharina öfters zu ihm ins Atelier. Die letzte Rate wollte er bei ihr daheim abholen. Das tat er und macht ihr gleichzeitig einen Heiratsantrag.
Sie wurden ein Paar. Zu der Zeit wohnte Reinhart in einem ausgebauten Kuhstall in Planegg bei München. Katharina war absolut begeistert. Es waren die unkonventionellen 68er Jahre. In der ersten gemeinsamen Wohnung bestand das Ehebett aus einer ehemaligen Kuhtränke mit einem Brett darüber und eine Matratze darauf. Und das Klo? Da musste man bei Schnee und Wetter einmal ums Haus - zum Plumpsklo. Als das dritte Kind unterwegs war, wurde es allmählich Zeit, eine Wohnung zu finden. Im Jahre 1974 zog die Familie nach Osterzhausen in das alte Schulhaus, wo das Künstlerehepaar mit den drei Kindern glücklich zusammen lebte.
Reinhart Wolke war bis ins Knochenmark Künstler. „Künstler sind von Natur aus spirituelle Menschen“, meint Katharina und so akzeptierte sie seine Zugehörigkeit zur *Subud-Gemeinschaft. 1989 ging die Ehe friedlich auseinander: Reinhart wanderte nach Indonesien aus. Zufrieden in Osterzhausen, blieb Katharina nach der Scheidung dort und verdiente den Familienunterhalt als freischaffende Schmuckgestalterin.
Heute blickt sie auf ein reiches und erfülltes Leben zurück. Sie fühlt sich wohl im alten Schulhaus, neben der Kirche und dem Friedhof, wo die Klänge ihrer Kindheit, die Kirchenglocken und Orgelmusik, sie glücklich stimmen.

Interview und Text: Mary-Ann Stotko
Portrait und Lektorat: Ludwiga Baronin Herman

von Mary-Ann Stotko 8. Oktober 2024
Franziska Bartsch
von Mary.-Ann Stotko 31. Mai 2024
Edgar Hegler
17. April 2024
Cäcillia Ottilinger
von Mary-Ann Stotko 17. April 2024
Elfriede Braun
von Mary-Ann Stotko 17. März 2024
Franz Herzig
von Mary-Ann Stotko 13. März 2024
Irene Ziegler
von Mary-Ann Stotko 30. September 2023
Karolina Ruisinger
18. September 2023
Jakob Feiger
von Mary-Ann Stotko 18. September 2023
Heidemarie Schumacher
Alois Arzberger
von Mary-Ann Stotko 28. Juli 2023
Alois Arzberger
Weitere Beiträge

Share by: